Wenn Eltern sich trennen und es um das Sorge- oder Umgangsrecht geht, steht oft eine Frage im Mittelpunkt: Was will das Kind?
Viele Gerichte haben in den letzten Jahren angefangen, den geäußerten Kindeswillen sehr stark zu gewichten – teilweise sogar ohne genau hinzusehen, ob dieser Wille beeinflusst wurde. Die Begründung: Wenn man den Willen des Kindes nicht beachtet, könne es das Gefühl verlieren, selbst etwas bewirken zu können. Fachleute nennen das Selbstwirksamkeit.

Aber so einfach ist es nicht.

Was sagt das Bundesverfassungsgericht?

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat klargestellt:

  • Der Wille des Kindes muss berücksichtigt werden,
  • aber nur soweit das mit dem Kindeswohl vereinbar ist.

Das heißt: Natürlich hat das Kind ein Recht, seine Meinung zu sagen. Aber Gerichte müssen genau prüfen, ob der geäußerte Wunsch wirklich die Bindungen und Gefühle des Kindes widerspiegelt – oder ob er vielleicht das Ergebnis von Druck oder Beeinflussung durch einen Elternteil ist.

Wenn ein Kind also sagt: „Ich will Papa (oder Mama) nicht mehr sehen“, darf das Gericht diesen Wunsch nicht einfach übernehmen, ohne nach den Gründen zu schauen. Es muss geprüft werden, ob die Ablehnung echt ist oder ob das Kind vielleicht in einen Loyalitätskonflikt geraten ist.

Manipulation oder echtes Empfinden?

Einige Gerichte haben den Kindeswillen sogar dann berücksichtigt, wenn er offensichtlich beeinflusst war. Das ist gefährlich. Denn:

  • Wenn ein Elternteil den anderen schlechtmacht und das Kind übernimmt diese Haltung, ist das keine freie Entscheidung.
  • Wenn man diesen manipulierten Willen einfach akzeptiert, kann das die Beziehung zum anderen Elternteil dauerhaft zerstören.

Das wiederum schadet dem Kind langfristig – seiner Bindungsfähigkeit, seinem Selbstwertgefühl und seiner gesunden Entwicklung.

Selbstwirksamkeit – was bedeutet das eigentlich?

Viele argumentieren, Kinder müssten ihren Willen durchsetzen dürfen, um Selbstwirksamkeit zu erleben. Der Psychologe und Jurist Dr. Jorge Guerra Gonzalez widerspricht dem:
Selbstwirksamkeit entsteht nicht dadurch, dass man immer bekommt, was man will. Sondern durch:

  • eigene Erfolge,
  • das Lösen von Problemen,
  • das Lernen, mit Frust umzugehen.

Kinder sollten also in Entscheidungen einbezogen werden – aber altersgerecht und ohne ihnen die Rolle des Entscheiders aufzubürden.

Merke:

  • Das Kind hat ein Recht auf beide Eltern.
  • Lehnt es einen Elternteil ab, muss das Gericht gründlich nach den Ursachen fragen.
  • Gibt es keine nachvollziehbaren Gründe, darf der Kindeswille nicht einfach als Entscheidung akzeptiert werden.
  • Ziel muss immer sein, dass das Kind eine stabile Beziehung zu beiden Elternteilen hat – außer es wäre tatsächlich schädlich.

Fazit

Gerichte dürfen den Kindeswillen nicht blind befolgen. Entscheidend ist, ob seine Befolgung wirklich dem Kindeswohl dient. Manchmal bedeutet das, den Wunsch des Kindes zu respektieren – manchmal aber auch, ihm zu helfen, den Kontakt zu beiden Eltern zu behalten, selbst wenn es das im Moment nicht will.

Denn am Ende geht es nicht darum, wer „gewinnt“. Es geht darum, dass Kinder gesund, stabil und mit beiden Eltern an ihrer Seite aufwachsen können.

Julia Hoffmann – Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht

www.anwalt-experten.de/rechtsanwaeltin-julia-hoffmann/

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